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60 Jahre Anwerbeabkommen zwischen Deutschland und der Türkei



60 Jahre Anwerbeabkommen zwi-schen Deutschland und der Türkei – Bürgermeisterin Antje Runge grüßt die türkeistämmigen Bürgerinnen und Bürger Oberursels


Heute vor 60 Jahren, am 30. Oktober, kamen aufgrund des Anwerbeabkommens zwischen Deutschland und der Türkei die ersten türkischen Arbeitskräfte nach Deutschland, nachdem es bereits seit 1955 Anwerbeabkommen mit Italien, Spanien und Griechenland gab. Auch Oberursel (Taunus) wurde für viele Einwanderer zur neuen Heimat und ist es bis heute geblieben. Anlässlich des Jubiläums grüßt Bürgermeisterin Antje Runge die türkeistämmigen Mitbürger und wirbt für Vielfalt und eine gelingende Integration.


Hintergrund


Auslöser für das Anwerbeabkommen war das „Wirtschaftswunder“ in der BRD. Es standen nicht genügend deutsche Arbeitskräfte zur Verfügung, der Aufschwung sollte nicht gefährdet werden. Daher wurden ausländische Arbeitskräfte angeworben, u.a. aus der Türkei, in der viele junge Menschen arbeitslos waren.


In Deutschland ging man davon aus, die Arbeitskräfte nach ein paar Jahren zurückzuschicken und auch viele Arbeitskräfte, die sogenannten Gastarbeiter, gingen von einem kurzen Aufenthalt aus. Überlegungen zur Integration, z.B. das Erlernen der deutschen Sprache, oder der Austausch zu den unterschiedlichen Kulturen, schienen daher nicht nötig. Das gegenseitige Kennenlernen und die Bereitschaft voneinander zu lernen, sind allerdings die Voraussetzung für ein Miteinander.


Mitte der 1960er Jahre wurde das Rotationsprinzip wegen der hohen Anlernkosten aufgeweicht; 1973 wurde infolge der Ölkrise ein Anwerbestopp verfügt. Viele türkische Arbeitskräfte vermieden daher die Rückkehr in die Türkei, da sie befürchteten, nicht erneut eine Arbeitserlaubnis zu erhalten. Ab Mitte der 1970er Jahre holten viele angeworbenen Arbeitskräfte, die ihre Familie in der Türkei zurückgelassen hatten, ihre Familienangehörigen nach Deutschland, auch hier in Oberursel, nach. Bis zu diesem Zeitpunkt hatten viele Ehepaare getrennt gelebt, viele Kinder wuchsen jahrelang bei ihren Großeltern auf und waren als Familie schmerzvoll zerrissen. Fast jede Familie in der Türkei hatte damals ein Mitglied, das in Deutschland gearbeitet hat. Ihre Erzählungen, insbesondere in den ersten Jahren der Arbeitsmigration, prägten das Deutschland-Bild in der Türkei. Ebenso wie die türkeistämmigen Einwanderer das Bild in Deutschland über die Türkei prägten, wobei ein stereotypes Bild entstand, was nicht die Heterogenität wiedergab.


Die türkeistämmigen Mitbürger waren mit Beginn der Arbeitsmigration mit Rassismus konfrontiert. Besonders deutlich wurde dies nach der Vereinigung Deutschlands durch die Brandanschläge in Mölln oder Solingen. „Es ist wichtig, dass wir Zuhören, die Geschichten unserer Mitbürger mit Migrationshintergrund kennenlernen und so Vorurteiler und Ressentiments im Alltag abbauen. Nur durch Mut und Durchhaltevermögen der Hinzugekommenen konnte die Integration gelingen. Erst wenn wir Vielfalt als Bereicherung begreifen, werden wir die Ausgrenzung auf Grund von Hautfarbe, Herkunft oder Religion überwinden“, betont Bürgermeisterin Antja Runge.

Heute


Die türkeistämmige Community in ihrer Vielfalt ist heute die drittgrößte Bevölkerungsgruppe in Oberursel und prägender Teil unserer Gesellschaft. Viele machten sich selbstständig und stärken die Oberurseler Wirtschaft. Die zweite und dritte Generation findet mittlerweile hier ihr Zuhause, häufig als deutsche Staatsbürger, und sind ein Teil unserer Stadt. Das Zusammenleben ist gelungen

In Oberursel wurde das Thema Integration bewusst erst in den 70er Jahren in der gesellschaftlichen und politischen Diskussion aufgenommen. In Folge dessen kam es auch zur Gründung des Vereines Windrose, der sich bis heute aktiv für die Integration für Menschen mit Migrationshintergrund einsetzt.


Im Zuge der Flüchtlingshilfe wurde 2014 erstmals das Thema Integrationsmanagement in die städtische Verwaltungsarbeit eingeführt. Ein durch die Stadt Oberursel koordiniertes Integrationsnetzwerk, mit dem Ziel der Verknüpfung von ehrenamtlichem Engagement und hauptamtlichen Zuständigkeiten, wurde im Mai 2014 gegründet. „Interessierte Bürgerinnen und Bürger, die unsere Neubürgerinnen und Neubürger bei ihrer Integration in die Oberurseler Gesellschaft unterstützen möchten, sind in diesem Netzwerk herzlich willkommen“, lädt Bürgermeisterin Antje Runge ein.


Integrationspreise vom Land und dem Hochtaunuskreis erhielten der Verein Windrose, das Kinderhaus, der Willkommenstreff und in diesem Jahr Ingeborg Marx, die sich besonders in der Sprach- und Kulturvermittlung engagiert.

„Oberursel ist eine multikulturelle, multireligiöse und weltoffene Stadt. Rassismus und Diskriminierung haben hier keinen Platz. Dass das so bleibt, bedarf dem Engagement aller in Oberursel lebenden Menschen. Es ist gut, dass die gesellschaftliche Integration heute bewusst gelebt wird und es eine hohe Aufmerksamkeit für das friedliche Zusammenleben gibt. Anlässlich des 60-jährigen Abwerbeabkommens möchte ich alle türkeistämmigen Mitbürgerinnen und Mitbürger ganz herzlich grüßen und mich für das gesellschaftliche Engagement in Oberursel bedanken. Ich bin überzeugt, dass Deutschland und Oberursel ohne Sie nicht da stehen würden, wo wir heute stehen“, so Bürgermeisterin Antje Runge.


Erste Generation der türkischen Arbeitsmigranten in Oberursel ist hier tief verwurzelt


Schon 1961 kamen die ersten türkischen Arbeitskräfte nach Oberursel, zunächst meist aus Ordu-Mesudiye und Aksaray. Der Großteil der Angekommenen arbeitete in kleinen und mittelständischen Industriebetrieben, z.B. bei IWO (Industriewerk Oberursel), Audi oder Bostik.

In Oberursel leben heute viele Nachkommen dieser ersten Zuwanderinnen und Zuwanderer in zweiten, dritten und mittlerweile vierten Generation. Aus der ersten Generation sind viele Menschen in die Türkei zurückgekehrt. Andere, nach Oberursel gezogen oder hier geboren, prägen nach wie vor unsere Stadt. Ihre persönlichen Geschichten stehen für das Zusammenleben und die Integration.


Die Geschichte von Ahmet und Hatun Soylu


Ahmet Soylu kam 1968 nach Oberursel. Er hat bis zu seiner Rente bei der Textildruckerei im Zimmersmühlenweg gearbeitet, meist auch an den Wochenenden. 1973 holte er seine Frau und die gemeinsamen drei Kinder nach Oberursel. Das vierte Kind, eine Tochter, wurde schon in Deutschland geboren. Nach der Familienzusammenführung begann Hanim Soylu 1973 ihre Tätigkeit bei der Firma Bostik und hat dort ununterbrochen bis zur Rente gearbeitet.


Als Ahmet Soylu nach Oberursel kam, hatte er massive Sprachprobleme und fand für seine Kinder nach deren Zuzug keinen Kindergartenplatz. Es war sehr schwierig, die Kinder zu betreuen, denn beide waren berufstätig. Hatun Soylu kümmerte sich mit türkischen Freundinnen abwechselnd um alle Kinder – denn diese hatten die gleichen Probleme. Ahmet Soylu besuchte keine Sprachschule und bekam für seine Integration weder von der türkischen noch von der deutschen Regierung Unterstützung.

Trotz aller Schwierigkeiten ist Oberursel für die Familie Soylu zur Heimat geworden. Alle vier Kinder und die Enkel leben hier. Das Ehepaar Soylu lebt abwechselnd für sechs Monate in ihrem Geburtsort Tunceli in der Türkei und in Oberursel.

Die Geschichte von Turan und Yüksel Akpinar


Das Ehepaar Akpinar kam 1979 zuerst nach Stuttgart, beide als Türkischlehrer. 1982 zogen sie nach Oberursel, beide waren dann beim Hessischen Kultusministerium angestellt. Sie haben in der Erich-Kästner-Schule, der Grundschule am Urselbach, am Gymnasium Oberursel und in verschiedenen Schulen im Hochtaunuskreis gearbeitet.


Turan Akpinar organisierte jedes Jahr mit vielen deutschen Lehrerinnen und Lehrern Türkeireisen und ermöglichte damit den Vergleich zwischen dem Bildungssystem von Deutschland und der Türkei. Die beiden unterstützen auch türkische Schülerinnen und Schüler mit schulischen Problemen. Turan Akpinar ist seit 2010, seine Frau seit 2013 in Rente.


Derzeit lebt Familie Akpinar, wie Familie Soylu, sechs Monate in Bodrum und sechs Monate in Steinbach – dorthin sind sie vor ein paar Jahren von Oberursel gezogen.



Antje Runge

Bürgermeisterin

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