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Stadtarchiv: Besondere Jubiläen und Gedenktage 2023 – Teil 1



Das Stadtarchiv hat sich auf Spuren­suche begeben – und ist fündig geworden! Hier ist der erste Teil der Vorschau auf die bedeutendsten Jubiläumsdaten 2023. „Nie wurde in Oberursel große Geschichte gemacht. Es lag immer etwas abseits am Wege“, schrieb Wilhelm Wollenberg, Kulturamtsleiter in Oberursel von 1960-1966, im Oberurseler Jahrbuch 1949. Oberursel zeigt aber seine eigenen Facetten großer Geschichte. 2023 jähren sich zwei Ereignisse, die für die deutsche Geschichte so bedeutsam und einschneidend waren, dass sie alles andere überschatteten. Vor deren Hintergrund werden in Form eines Querblicks der Stadtarchivarin Sylvia Goldhammer die Ereignisse in Oberursel in zwei Teilen geschildert. Ein dritter Teil schließt dann mit einzelnen Jubiläen und Gedenktagen ab.


Vor 175 Jahren: Die Revolution von 1848/49

Vor 175 Jahren tagte in Frankfurt am Main die erste deutsche Nationalversammlung. Sie wurde am 18. Mai 1848 feierlich in der Frankfurter Paulskirche eröffnet. Im März 1849 verabschiedete man eine Verfassung, die erstmals Grund- und Bürgerrechte formulierte. Die Verfassung selbst wurde zwar nie in Kraft gesetzt, aber ihre Ergebnisse sind noch heute in unserem Grundgesetz sichtbar.


1848 rollte nach 1789 und 1830 eine dritte Revolutionswelle über Europa. Wieder ging sie von Frankreich aus. Am 24.02.1848 wurde der Bürgerkönig Louis Philippe zur Abdankung gezwungen und die Republik ausgerufen. Bereits zwei Tage später gelangte die Nachricht in die nassauische Landeshauptstadt Wiesbaden. Die liberalen Kreise sammelten sich und stellten die neun „Forderungen der Nassauer“ auf. Sie entsprachen weitgehend den auch in anderen deutschen Ländern geforderten politischen Zielen nach Volksbewaffnung, Pressefreiheit, freies Vereinigungs- und Versammlungsrecht, Öffentlichkeit der Gerichtsverhandlungen, Verstaatlichung der Domänen und vor allem Einberufung eines nationalen Parlaments. Die Forderungen nach Volksbewaffnung und Aufhebung der Zensur wurden umgehend erfüllt, die Entscheidung über die anderen Märzforderungen sollte dem abwesenden Herzog Adolph vorbehalten bleiben. Am 4. März 1848 wurde eine Volksversammlung vor das Wiesbadener Schloss einberufen. Circa 30.000 bis 40.000 Menschen aus Nassau und dem Umland, darunter auch einige Bürgerinnen und Bürger Oberursels, waren gekommen.


Die wesentlichen politischen Strömungen in Nassau waren die gemäßigt Liberalen und die bürgerliche Linke, die Demokraten. Erstere verfolgten Reformen im Einklang mit den Monarchen oder Landesherren, letztere verfolgten, auch unter Einsatz von Gewalt, das politische Ziel einer Republik. Sie waren sowohl in den größeren als auch in den Kleinstädten und auf dem Lande vertreten, meist in Vereinen organisiert. Auch in Oberursel fanden politische Volksversammlungen statt. Die politischen Konflikte wurden bis in die Familien hereingetragen.


Die Revolution auf dem Land unterschied sich von der städtischen Protestbewegung. Hier hatte sie einen sozialrevolutionären-agrarischen Charakter. In Nassau lasteten noch auf mehr als 50 Prozent der bäuerlichen Betriebe Feudalabgaben, so dass viele Bauern unter erdrückenden Steuerlasten litten. In den 1840er Jahren war es zudem zu Ernteausfällen und Hungersnöten gekommen. So tauchte zum Beispiel 1845 erstmalig auch in Oberursel die Kartoffelkrankheit auf, die die Kartoffeln verfaulen ließ. Die Lebensmittelpreise stiegen in die Höhe. Zudem hatte die beginnende industrielle Revolution weite Teile der Bevölkerung in soziale Not gebracht. Die Proteste entluden sich auf dem Land häufig über spezifisch regionale Streitpunkte.


Über die Ereignisse in Oberursel liegen einige Berichte vor, die auf mündlichen Aussagen beruhen. 1898 hatte Bürgermeister Joseph Füller noch einen lebenden Zeitzeugen, den Schuhmacher Ludwig Calmano, über die Ereignisse befragen können und das Gespräch protokolliert. Diese Schilderung ist sehr detailliert, sogar Namen konnte Calmano noch nennen. Demnach hatten die Oberurseler erst am 3. März, abends um 22 Uhr, von den Ereignissen erfahren und waren daher in Wiesbaden mit nur wenigen Personen vertreten, darunter der Gastwirt Georg Pfaff. Acht bis zehn Personen hätten sich am 05. März abends in Pfaffs Gaststätte versammelt, um die politischen Ereignisse zu diskutieren.


Die Ereignisse in Oberursel hatten mit den Nassauer Forderungen vordergründig nichts zu tun. Sie betrafen jedoch einen Eingriff in die gemeindliche Selbstverwaltung. Die Oberurseler Bevölkerung haderte seit rund drei Jahrzehnten mit einem Ereignis der Vergangenheit, das sie von der nassauischen Regierung seit 1816 entzweit hatte. In diesem Jahr wurde ein neues Gesetz über die Armenpflege erlassen, infolgedessen die Verwaltung des lukrativen Hospitalfonds an den Sitz der neuen Amtsarmenverwaltung in Königstein überging. Der Hospitalfonds war eine Stiftung von Oberurseler Bürgerinnen und Bürgern aus dem ersten Drittel des 16. Jahrhunderts mit eigener Hospitalverwaltung gewesen. Nutznießer waren vor allem Oberurseler Bürgerinnen und Bürger. Bestimmt war auch, dass die Almosenkasse immer in Oberursel verbleiben sollte. Über Spenden, Stiftungen oder Zehnterhebungen kamen dem Hospitalfonds regelmäßig Einkünfte zu, wodurch er finanziell immer gut ausgestattet war. Während der nassauischen Verwaltung wurden aber mehrfach ortsfremde Personen unterstützt, wodurch sich Bedürftige aus Oberursel benachteiligt fühlten.


Und so beschloss man an diesem Abend im Gasthaus, den Fonds sofort zurückzuholen. Am Montag, 06. März, versammelte man sich auf dem Marktplatz. Schultheiß Michael Kürtel, Vertreter der Konservativen, hatte davon Wind bekommen und vorab den Amtmann in Königstein vorgewarnt und versuchte, die Gruppe zurückzuhalten. Dennoch, ca. 220 Oberurseler sollen zum Amtshaus nach Königstein gezogen sein. Die Aktion war von Erfolg gekrönt, man erhielt den Fonds in einer Kiste zurück, bedankte sich und kehrte „Brüder reicht die Hand zum Bunde“ singend nach Oberursel zurück, wo bereits die Glocken läuteten. In der Hospitalkirche fand eine Dankfeier statt. Eine Anekdote wird in Oberursel immer wiederholt: Hatte der Schornsteinfeger Gimbel damals den Fonds in einem Schubkarren nach Königstein fahren müssen, so forderte er jetzt, diesen wieder heimzufahren zu dürfen.


Die Veränderungen durch die Revolution hielten auch in Oberursel, wenn auch nur für kurze Zeit, Einzug. Im Zuge einsetzender Reformen in der Selbstverwaltung fiel das Schultheißenamt weg. Michael Kürtel und zwei weitere Gemeindebedienstete wurden im April 1848 abgesetzt. Es fand eine große Volksversammlung auf dem Marktplatz statt, zu der auch viele Homburger gekommen waren, um Reden über Freiheit, Recht und Vaterland zu hören. Außerdem wurde eine 60 bis 70 Mann starke Bürgerwehr eingerichtet, die auf der Bleiche militärische Übungen abhielt. Im Laufe der Revolutionsereignisse konnte sich die Reaktion aber wenige Monate später wieder behaupten. Der Hospitalfonds kam zwar 1849 wieder in amtliche Verwaltung, die Oberurseler Bevölkerung setzte aber dessen Verbleib in Oberursel durch, wo er bis zu seiner Auflösung im Jahr 1971 auch verblieb.



Antje Runge

Bürgermeisterin

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