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Stadtarchiv: Besondere Jubiläen und Gedenktage 2023 – Teil 2



Das Stadtarchiv hat sich wieder mal auf Spuren­suche begeben – und ist fündig geworden! Hier ist der zweite Teil der Vorschau auf die bedeutendsten Jubiläumsdaten 2023. Stadtarchivarin Sylvia Goldhammer gibt einen Querblick über Ereignisse in Oberursel vor 100 Jahren.


Deutschland schlittert 1923 in eine Hyperinflation

Kriege sind Inflationstreiber. Anfang des 20. Jahrhunderts kam es infolge des Ersten Weltkriegs zu einer Inflation, die 1923 in einer Hyperinflation mündete.


Die eigentliche Ursache dafür war die auf Anleihen gestützte Kriegsfinanzierung. Sie geriet aus dem Ruder, als Frankreich und Belgien wegen geringer Rückstände in den im Versailler Vertrag bestimmten Reparationsleistungen 1923 das Ruhrgebiet besetzten. Die deutsche Regierung rief zum passiven Widerstand der dort lebenden Bevölkerung auf, übernahm die Löhne der entlassenen oder ausgewiesenen Beschäftigten und bezahlte diese durch den Druck von Geld. Damit wurde die Inflation angeheizt. Es fehlte an Kohle, Rohprodukten und Absatzgebieten. Die Wirtschaft geriet in eine Schieflage. Die Reichsregierung rief zu einem außerordentlichen Volksopfer für die Betroffenen aus.


Auch die Stadt Oberursel folgte dem Aufruf. Bis Ende August 1923 wurden hier über sieben Millionen Mark gesammelt. Mit Beginn des Ruhrkampfes 1923 erhöhten sich auch in Oberursel Arbeitslosigkeit und Kurzarbeit rapide. Französische Truppen rückten bis an die Hohemark vor. Einige Oberurseler Arbeiter konnten ihre Arbeitsstellen in den besetzten Gebieten nicht mehr erreichen. Auch sie erhielten einen Teil ihres Lohns aus öffentlichen Mitteln. Preise und Löhne stiegen, auch in Oberurseler Betrieben wurden zahlreiche Arbeiter entlassen. Im Laufe des Jahres stieg die Zahl der auf Erwerbslosenunterstützung angewiesenen Personen von sechs im Januar auf einen Höchststand von über 800 im November. Mit Vergabe von Notstandsarbeiten im Straßenbau, mit Baumfällungen oder der Verlegung einer Wasserleitung unternahm die Stadt den Versuch, die Arbeitslosigkeit zu lindern.


Außerdem musste die Stadt Flüchtlinge aufnehmen. Der Magistrat wies beim Landrat darauf hin, dass weder Arbeits- noch Unterbringungsmöglichkeiten vorhanden seien. Von 300 Wohnungssuchen seien 60 Familien ganz ohne Heim.


In den Stadtverordnetenversammlungen drehte sich alles ums Geld. Es ging um Steuererhöhungen, Erhöhung der Preise, Beschaffung von Brennmaterialien oder Kartoffeln. Regelmäßig nahmen Gruppen von Erwerbslosen teil, darunter vereinzelt Frauen, und forderten eine höhere Unterstützung oder verbilligte Lebensmittel.


Anfangs versuchten Magistrat und Stadtverordnetenversammlung noch sachbezogene Lösungen zur Geldbeschaffung, zum Beispiel in Form einer Holzversteigerung. Das Holz sollte im nicht besetzten Teil des Stadtwalds gefällt werden und zur Überbrückung, bis die Versteigerung abgeschlossen war, ein Kredit aufgenommen werden. Später reichte auch die Platzierung von Anleihen nicht mehr aus, zumal die gewünschten Summen nicht erreicht wurden und sich die Zinsen der Anleihesumme annäherten. Schließlich beschloss auch der Oberurseler Magistrat am 16.08.1923 erstmalig zur Geldbeschaffung den Druck von Notgeld. Dennoch stand die Stadt kurz darauf mit einem Fehlbetrag von 25 Milliarden Mark vor leeren Kassen. Bald mehrten sich Beschwerden, dass man mit dem Geldersatz außerhalb Oberursels nichts anfangen könne. Bereits in Bommersheim würde das Geld nicht mehr angenommen. Die prekäre Situation entspannte sich erst mit einer Währungsreform. Die Einführung der Rentenmarkt im November 1923 markierte die Rückkehr zu einer stabilen Währung. Sie wurde am 30.08.1924 mit der Reichsmark abgelöst.


Vor diesem Hintergrund sind auch innergewerkschaftliche und politische Auseinandersetzungen der Gewerkschaften um Machtteilhabe zu sehen, die auch in Oberursel sichtbar wurden. Hier machte sich eine erhöhte Streikbereitschaft der Arbeiter bemerkbar. Infolge der Inflation mussten fast wöchentlich neue Tarifverhandlungen geführt werden. In der benachbarten Gemeinde Oberstedten mit einem sehr großen Arbeiteranteil in der Bevölkerung hatte beispielsweise die KPD eine große Anhängerschaft. Sie galt als „kommunistische Hochburg“. Zahlreiche Oberstedter arbeiteten im benachbarten Oberursel in der Motorenfabrik oder in der Maschinenfabrik Turner & Co. Und fast alle gehörten dem Deutschen Metallarbeiterverband an, der zu den fünf größten freien Gewerkschaften zählte.


Obgleich es in Oberursel, anders wie im nahe gelegenen Frankfurt und anderen Städten, vergleichsweise ruhig geblieben war, verfügte Bürgermeister Josef Füller vorsorglich, dass kein Polizeibeamter ohne seine Einwilligung die Stadt verlassen dürfe. Die „Hauptschreier“ seien verwarnt und auf die Folgen hingewiesen worden, was sich bis jetzt auch bewährt hatte. Der Blick der Arbeiter richtete sich nach Frankfurt. Ende Oktober kam es aufgrund eines Gewerkschaftsausrufes wieder zu Arbeitsniederlegungen. Sämtliche Fabriken in Oberursel wurden geschlossen. Bis zu 2000 Arbeiter, unter anderem der Motorenfabrik, der Maschinenfabrik Turner, der Taunusschuhmaschinenfabrik und Schuhfabrik Rheinberger, versammelten sich in der großen Turnhalle der Turngesellschaft Oberursel e. V. Mit Abschluss des neuen Schlichtungsgesetzes Ende Oktober beruhigte sich auch hier die Lage.



Antje Runge

Bürgermeisterin

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